HUBER.HUBER

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huber.huber and the authors

MEMORY - Über die Erinnerung und das Vergessen in ungewöhnlichen Zeiten
Kunstmuseum Olten CH

23. Januar bis 18. April 2021

Mit Werken von: Cuno Amiet, Karolin Bräg, Karin Karinna Bühler, Marc Antoine Fehr, Franziska Furter, Andrea Good, Annatina Graf, Nina Haab, Christina Hemauer & Roman Keller, Jan Hostettler, huber.huber, Cecile Hummel, Monica Germann / Daniel Lorenzi, Alexandra Meyer, Jörg Mollet, Thi My Lien Nguyen, Christof Nüssli, Philipp Schaerer, Christian Rothacher, Daniel Schwartz, Ernst Thoma, Sebastian Utzni, Regula Weber, Gernot Wieland, Nives Widauer und Dadi Wirz.


Die Gruppenausstellung «Memory» steht ganz im Zeichen des Gedächtnisses. Sie zeigt Projekte von Künstlerinnen und Künstlern, die sich mit der Erinnerung, aber auch dem Vergessen auseinandergesetzt haben und präsentiert diese gemeinsam mit ausgewählten Werken aus der Museumssammlung, die ebenfalls eng mit dem Thema verbunden sind.

Die Fähigkeit des Erinnerns, die eng mit unserem Gedächtnis verknüpft ist, macht uns zu dem, was wir sind und (be-)trügt uns doch oft. Die psychische Mechanik des Erinnerns ist derart komplex, dass darin so gut wie alles spezifisch Menschliche involviert und aneinandergekoppelt ist: Emotion, Bewusstsein, Geist, Verstand, Poesie. Erinnerung ist nicht einfach gleichzusetzen mit Gedächtnis. «Erinnern ist vielmehr das Plündern des Gedächtnisses als Tätigkeit des Geistes mithilfe des Gehirns. Man könnte sagen: Das ganze Leben besteht aus Erinnern.» (Christian Schüle)

Gerade in einer Zeit, in der sich mit den Möglichkeiten der sozialen Medien laufend neue, experimentelle, fiktive und bisweilen falsche Identitäten bilden lassen, andererseits aber auch eine steigende Tendenz zum Verlust der Erinnerung und zur Demenz zu verzeichnen ist, gewinnt das Bewusstsein für diese lebenswichtige Fähigkeit an Bedeutung.

Diese Entwicklung wird auch von Künstler*innen beleuchtet: Ihr Interesse gilt der Erinnerungskultur unserer Gesellschaft und spiegelt so etwa unseren Umgang mit einst geschätzten Denkmälern von Personen und Ereignissen wider, die in der postkolonialen und genderbewussten Gegenwart nicht mehr gerne gesehen sind.

Andere beschäftigen sich mit dem Internet, das nichts vergessen kann, oder setzen sich mit der eigenen familiären Geschichte auseinander. Wieder andere verweisen auf die Bedeutung von bestimmten Objekten als Träger der Erinnerung oder befassen sich mit zeitgeschichtlichen Ereignissen, die fest in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben sind.

Neben Werken, die den Einfluss von Sinneswahrnehmungen auf unser Gedächtnis untersuchen, sind in der Ausstellung aber auch stille, eindringliche Arbeiten zu finden, die aufzeigen, was bleibt, wenn wir die Möglichkeit, uns zu erinnern, verlieren.

Kuratorin: Dorothee Messmer, Assistenzkuratorin: Miriam Edmunds

WIESE
huber.huber 2019

Den eigentlichen Auftakt zur Ausstellung im Museum macht die Installation Wiese (Nr. 1) des Zürcher Künstlerduos huber.huber. Über die großformatige Fotografie einer Wiese in Schwarz-Weiß sind grün eingefärbte Drucke von Aufnahmen eines Wiesenstücks hinter grünem Glas montiert, daneben ein hinzugestellter Diffusor, der gleichmäßig einen Duft im Raum verteilt. Dabei handelt es sich um eine synthetische Komposition, welche das olfaktorische Ereignis einer frisch gemähten Wiese simuliert. Es ist ein grasiger, leicht metallischer Geruch, der sofort Assoziationen an Barfusslaufen im Sommer oder zufrieden weidende Kühe weckt. Mithilfe des Duftes werden Erinnerungen wachgerufen, die unsere Wahrnehmung mit sinnlich verankerten Assoziationen unterlegen.

Zugleich werfen die Künstler die Frage auf, in welchem Verhältnis die Wahrnehmung zu Wissen und Wahrheit steht – denn offenkundig werden wir gar schnell Opfer unserer eigenen Sehnsüchte! Die vermeintliche Idylle, die unser Gehirn basierend auf abgespeicherten Erfahrungen aus den ihm hier Angebotenen zusammensetzt, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als künstlich erzeugte Illusion. Denn das Cis-3-Hexenol, welches wir als wohlriechenden Duft wahrnehmen, ist eigentlich der Hilferuf einer Pflanze. Die Blattduftstoffe stammen von Verletzungen durch Fressfeinde oder Rasenmäher. Die Ausdünstung kurbelt einerseits die Wundheilung der Pflanze an und schützt diese vor bakteriellen Infektionen, andererseits dient sie als Kommunikationsmittel, indem sie Fressfeinde fernhält oder Insekten anlockt, die Jagd auf diese Feinde machen.
Mit diesem Hintergrundwissen empfinden wir den Geruch und auch die Bilder nicht mehr als so harmlos. Denn bei den gezeigten Grasnarben handelt es sich um Bilder von Bombenkratern in Helgoland, die aus dem Zweiten Weltkrieg stammen. Sie sind buchstäblich von Gras überwachsen, genauso, wie die Kriegsgräuel im kulturellen Gedächtnis zu verblassen beginnen. Statt einer Idylle präsentieren uns die beiden Künstler also das pure Gegenteil, nämlich die Spuren kriegerischer Zerstörung, tausendfachen Leids und Tod. Verletzungen und Narben sind das eigentliche Thema dieser Installation. Ein Thema, das sich erst offenbart, wenn sinnliche Wahrnehmung auf intellektuelles Forschen trifft. Dabei verweisen huber.huber auch auf ein Dilemma, mit dem sich Kunst konfrontiert sieht, wenn sie sich mit dem kollektiven Gedächtnis befasst. Denn jede Erinnerung muss immer von neuem in gegenwärtiger Sinnlichkeit aktualisiert werden, ansonsten läuft sie Gefahr, dem Vergessen anheimzufallen.


Werkbesprechung: huber.huber, Die Wiese, 2019 from Der Lift on Vimeo.